Ein Zeichen der Hoffnung in Zeiten der Krise

Ich habe mir lange überlegt, ob ich und wenn ja, wie ich auf die aktuelle Lage in Chile eingehen soll. Jetzt ist denke ich der Zeitpunkt gekommen, um mir einige Gedanken zum Geschehen der Zeit zu machen. Nach dem im Oktober 2019 in Chile zu heftigen sozialen Unruhen kam, entspannte sich die Lage in den Monaten Januar und Februar wieder einigermassen. Traditionsgemäss sind dies die Sommerferien in Chile. Ein erneutes Aufflammen der Unruhen wurde für den März erwartet.


Ab dem 18. Oktober 2019 kam es täglich zu Protesten in Santiago de Chile und im ganzen Land.

Die Natur hatte aber einen anderen Plan. Ausgehend von China, über Europa und schliesslich auch in Südamerika angekommen, kündigte sich eine Katastrophe bis anhin nie gesehen Ausmasses an: das Corona-Virus. Anfangs März wurde der erste Fall in Chile registriert. Seither nimmt die Anzahl der Ansteckungen stetig zu. Der Peak der Ansteckungskurve wird Mitte oder Ende April erwartet. Die Bevölkerung von Chile ist sich in der Zwischenzeit bewusst geworden, dass die Lage ernst ist. Zu Beginn überwogen in den Sozialen Medien noch die humorvollen Beiträge. Seit in Italien und Spanien aber täglich hunderte vom Corona-Virus dahingerafft werden, hat sich die Stimmung unter den Chilenen schlagartig geändert. Die Leute bleiben so gut es geht zuhause und warten auf das was noch kommen mag.

Als Kleinproduzent in einem ultraliberalen Wirtschaftssystem
Was bedeutet das alles für mich, als kleiner Produzent in einem ultraliberalen Wirtschaftssystem? Unterstützung vom Staat zu erwarten ist sozialromantische Träumerei. Zwar wurde in der letzten Woche eine Finanzhilfe von rund 11 Millionen US-Dollar gesprochen. Diese werden aber in erster Linie dazu gebraucht, um den Wirtschaftsapparat am Laufen zu halten. Stark vereinfacht bedeutet das, dass die Unterschicht sich immer noch tagtäglich zu Tausenden in die Metro quetscht, um an die Arbeitsstelle zu gelangen, und sich dabei dem Risiko einer Ansteckung aussetzt, während die privilegierte Oberschicht am Zweitwohnsitz am Meer im Homeoffice relativ gut geschützt die Krise aussteht.

Die Chicago Boys wälzen das Wirtschaftssystem um
Dies ist vereinfacht und etwas überspitzt ausgedrückt die aktuelle Lage in Chile. Diese soziale Ungleichheit führte auch zu den bereits erwähnten sozialen Unruhen im Oktober 2019. Chile hat eines der liberalsten Wirtschaftssysteme der Welt. Der Ursprung des heutigen Systems - die aktuelle Verfassung übrigens auch – liegt in der Zeit der Militärdiktatur. Der Putsch vom 1973 unter Pinochet beendeten aprupt die in den 60er Jahren angestossenen Reformen.

Der Militärputsch brachte das soziale Gefüge in Chile zum Wanken und prägt das Land bis heute.

Nach der Machtübernahme holte die Militärjunta eine Expertengruppe zusammengestellt aus gut ausgebildeten Chilenen, welche allesamt an Eliteuniversitäten der Vereinigten Staaten studierten, ins Land: Die sogenannten „Chicago Boys“. Sie benutzten den ausgehebelten Sozialstaat Chiles als Spielwiese, um die Wirtschaftsdoktrin von Milton Friedmann von der Theorie in die Praxis umzusetzen.

Bis heute wird an der „Militärdiktatur-Verfassung“ festgehalten
Chile erlebte in den 70er und 80er Jahren ein ungebremstes Wirtschaftswachstum, jedoch auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung. Nach dem Übergang zur Demokratie im Jahre 1990 zeigte das nun an die Macht gelangte Bündnis aus linken Parteien wenig Interesse etwas an dieser Situation zu ändern. Zwar kam es zu einer minimalen geschichtlichen Aufarbeitung der Militärdiktatur, am Wirtschaftssystem an und für sich wurde aber wenig geändert. Während den letzten 30 Jahren in der Demokratie wurden einige Gesetze und Erlasse weiter ausgebaut, anstelle sie zu verwerfen und von neuem zu beginnen. Die Verfassung, ein Überbleibsel aus der Militärdiktatur, gestattet es der Regierung nahezu alles zu Geld zu machen. Die strategisch wichtigen Bereiche wie Bildung, Verkehr und medizinische Versorgung sind wirtschaftliche Faktoren und nicht Teil einer strategischen Ausrichtung der Regierung.

Kurz vor den sozialen Unruhen wurden noch gerade Wasserrechte an den Meistbietenden verschachert. In Europa ist etwa der der Fall der Region Petorka bekannt, wo grosse Avocadoplantagen der umliegenden Bevölkerung den Zugang zu Wasser abschnitt. Unzählige kleineren Landwirte mussten zusehen, wie ihre Felder, Bäume und das Vieh ohne Wasser vertrocknete, respektive verendete.

Den Fokus nicht aus den Augen verlieren
Ich persönlich habe meine Grundstücke in einer Gegend, wo keine Grossgrundbesitzer ihr Unwesen treiben und wo es ebenfalls keine Bodenschätze gibt. Hier gibt es weder riesengrosse Plantagen noch Minengesellschaften. Jedoch musste ich vor zwei Wochen einen tieferen Brunnen bohren lassen, da der bestehende nach zwei Wintern ohne nennenswerte Niederschläge ausgetrocknet war. Nun habe ich einen Brunnen von 60 Metern Tiefe und genügend Wasser, um die nächsten Jahrzehnte zu überstehen. Dies war eine unvorhergesehne Investition und musste in einer Zeit der grossen sozialen Unsicherheit getroffen werden. Ich muss aber vorwärts schauen und der Krise so gut wie es halt möglich ist trotzen.

Der Klimawandel macht sich auch in Chile und auf meiner Parzelle bemerkbar: Ich musste einen tieferen Brunnen bohren.

Zurzeit bin ich daran die Safranfelder zu bewässern. In diesem Jahr etwas verspätet aber immer noch im Zeitplan. Ausserdem muss ich die Safranplantage noch durch einen dichten Zaun hasensicher machen. Die wilden Hasen haber ihren Narren an den Knollen gefressen. Die Ernteaussichten in diesem Jahr sind eher schlecht, aber mit den getroffenen Massnahmen, bin ich auf Kurs und in der richtigen Richtung unterwegs.

Auf der anderen Parzelle habe ich bereits vor drei Jahren einige Bahnen Safran gepflanzt. Die Halme sind bereits durch die Erde durchgestochen und ich warte jetzt eigentlich jeden Tag darauf, dass die Blüten sich öffnen: Sozusagen als ein Zeichen der Hoffnung in Zeiten der Krise.

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